Sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, Sommer wie Winter. Wenn in Weilheim der Morgen erwacht, sind sie wie immer im Einsatz: die Antennen der Bodenstation des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Als Tor in eine neue Dimension reckt die dreizehn Meter hohe Anlage ihren Parabolspiegel in den oberbayrischen Himmel. Eine Armada von Satelliten sendet ihre gesammelten Fernerkundungsdaten an diese Empfangsanlage auf der Erde, wo eine Heerschar von Wissenschaftlern darauf wartet, mit diesen Daten die Geheimnisse unseres Planeten zu lüften und zu verstehen. Aber wie?
Wir schicken Forscher rund um den Globus, erheben Daten an den unwirtlichsten Orten der Erde, vermessen Landstriche im Permafrost, entnehmen Proben aus der Tiefsee und schießen Sonden in den Weltraum. Wir beobachten unseren Heimatplaneten aus dem All, vermessen seine Oberfläche und überwachen jede seiner Entwicklungen. Tag für Tag schöpfen wir riesige Mengen an Datenschätzen, die uns neue Erkenntnisse liefern sollen.
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/igo/ - Quelle: ESA/ATG medialab, Mapping in colour, CC-BY 3.0
„Earth Observation“ bezeichnet im Englischen die Beobachtung der Erde, und obwohl der Begriff Observierung auch unangenehme Gefühle weckt, wird einem schnell bewusst, dass diese Art der Überwachung wichtige Informationen liefert. Informationen, die uns zeigen, wie sich der Klimawandel auswirkt, wie sich die Weltbevölkerung entwickelt oder was in den Ozeanen geschieht. Wann und wo ein Vulkan ausbrechen oder die Erde beben wird. Und wie in Krisengebieten effektiv humanitäre Hilfe zu leisten wäre.
Es sind Einrichtungen wie die Bodenstation in Weilheim, die unser Bild von der Erde verbessern. Oder auch das deutsche Satellitendatenarchiv in der Nähe von München. Dort lagert Europas größte Schatzkiste aus dreißig Jahren Fernerkundung. Es handelt sich dabei um mehr als 50 Petabyte an Daten, gespeichert auf Magnetband-Kassetten. Und das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum in Oberpfaffenhofen baut im Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur Esa ein Prozessierungs- und Archivierungszentrum für die Copernicus-Satelliten auf. Aber damit sind die endlosen Datenströme noch längst nicht ausgewertet oder könnten zeitnah die gewünschten Ergebnisse liefern. Erst eine spezifische, unverfälschte Analyse zu den verschiedensten Fragestellungen macht Informationen wirklich wertvoll.
Quelle: Jacobs University/ZDF/ARTE, BigEarthData – die Digitalisierte Erde
„Stellen Sie sich vor, Sie haben einen voll aufgedrehten Feuerwehrschlauch und versuchen, aus diesem zu trinken. Dann haben Sie einen Eindruck davon, was es bedeutet, mit Big Data umzugehen“, sagt Peter Baumann, der an der Jacobs University in Bremen im Fachbereich Informatik forscht und lehrt. Im Rahmen der transatlantischen „Earthserver“-Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Umgang mit mächtigen Datenarchiven zu erleichtern, entwickelt Baumann technische Lösungen für Big Data.
„Da ist die Menge der Daten und die Geschwindigkeit, mit der sie hereinströmen, das Hauptproblem. So ergibt sich ein riesiger Datenstau, ein Berg an Informationen, der nicht genutzt werden kann.“ Hinzu kommt, dass es höchst unterschiedliche und sehr komplexe Daten sind. Oftmals passen die Daten nicht zueinander und lassen sich auch nicht miteinander kombinieren oder untereinander austauschen. Als letztes Kriterium stellt sich außerdem die Frage nach der Genauigkeit und Unverfälschtheit.
Quelle: Jacobs University/ZDF/ARTE, BigEarthData – die Digitalisierte Erde
„Jeder Wissenschaftler muss genauestens prüfen, ob die Daten, mit denen er arbeitet, glaubwürdig sind. Die Software-Werkzeuge leisten hierbei noch viel zu wenig Unterstützung“, sagt der Informatikprofessor, der im vergangenen Oktober mit dem Copernicus Masters Award in der Kategorie „T-System Big Data Challenge“ im Bereich der Erdüberwachung ausgezeichnet wurde. Peter Baumann entwickelte eine Anfragesprache für Datenbanken, mit der sehr gezielt Informationen aus großen Archiven extrahiert werden können.
Wie viele Informationen gehen verloren, weil Daten zwar erhoben, aber nicht ausgewertet werden können? Vielleicht liegen in den Archiven schon die Antworten auf Fragen, die wir uns erst in Zukunft stellen werden. Aber wären die Informationen dann überhaupt noch abrufbar? Unsere Sammelwut birgt zugleich das Risiko des Verlusts, denn auch Datenspeicher können veralten.
Neben Peter Baumann entwarfen auch Forscher des DLR-Instituts für die Methodik der Fernerkundung, Photogrammetrie und Bildanalyse in Oberpfaffenhofen einen Zugang zu den Datenbeständen in Satellitenarchiven. Unter der Leitung von Mihai Datcu wird hier mit virtuellen Räumen experimentiert. Wie in einer Bibliothek, in der die Bücher aufgeschlagen vorliegen, werden Tausende von Archivbildern erfasst und erkannt, welche ähnliche Strukturen aufweisen, beispielsweise Vegetation, Ackerland, Brücken, Häuser oder Wasser. In einer dreidimensionalen Darstellung werden die Bilder sortiert: Je ähnlicher sie sind, desto näher liegen sie beieinander.
„Bald wird nicht mehr von Milliarden von Bildern die Rede sein, die ausgewertet werden müssen, sondern von Billionen“, sagt Datcu. Daher werde es in Zukunft immer wichtiger, detaillierte Informationen aus großen Datenmengen herauszufiltern. Und nicht nur aus Daten der Fernerkundung, sondern aus dem gesamten Datenspektrum der Geowissenschaften.
Quelle: Jacobs University/ZDF/ARTE, BigEarthData – die Digitalisierte Erde
Ein Beispiel dafür, dass Erdbeobachtung als Frühwarnsystem funktionieren kann, ist die GRACE Mission. Bei dieser handelt es sich um ein gemeinsames Projekt zwischen der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt: Satelliten-Zwillinge vermessen das Schwerefeld der Erde. Daraus lässt sich etwa die Verteilung des Wassers ablesen.
Seit mehr als zehn Jahren sammelt GRACE diese Informationen und vergleicht die aktuellen Messungen mit früheren Daten. Auf diese Weise lassen sich Veränderungen so genau beobachten, dass Forscher kürzlich Alarm schlugen. Die Great Plains in den Vereinigten Staaten gehören zu den ertragreichsten Anbaugebieten der Welt, doch der landwirtschaftliche Erfolg beruht auf einer einzigen Quelle: dem Ogallala-Aquifer, einem riesigen Wasserspeicher tief unter der Erdoberfläche. Bereits in den dreißiger Jahren war das Gebiet von wiederkehrenden Dürren und Staubstürmen betroffen. Im Vergleich zum Messbeginn im Jahr 2002 ist dieses Reservoir inzwischen dramatisch geschrumpft.
Amerikanische Behörden reglementieren nun streng, wie viel Wasser die Farmer entnehmen dürfen.
Quelle: Jacobs University/ZDF/ARTE, BigEarthData – die Digitalisierte Erde
GRACE zeige, dass die Wissenschaft künftig viel mehr in politische Entscheidungen involviert werden müsste. „Wir werden unsere Erde immer genauer beobachten und auf Veränderungen schneller aufmerksam werden können. Die Erdbeobachtung birgt große Chancen für unsere Gesellschaft und für unsere Zivilisation, aber auch Gefahren, mit denen wir alle verantwortungsvoll umgehen müssen“, sagt Peter Baumann. Wenn wir die Geheimnisse der Erde kennen, stellt sich ergo eine gesellschaftliche Grundsatzfrage zu „Big Data“: Wie gehen wir damit um, dass die neuen Informationen politisch und finanziell von großem Wert sein können – wer profitiert davon, und wie finden wir faire Regeln dafür?